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DECONSTRUCT ME - I'm an artist
SYMPOSIUM / AUDIO PUBLICATION
ZUM KUENSTLERINNENBILD IN DER MASSENMEDIALEN GESELLSCHAFT
PROJEKTRAUM DEUTSCHER KUENSTLERBUND ROSENTHALER STR.11 BERLIN 26.06.2004
Konzeption: annette hollywood, Bernd Milla
dt/engl
Auf der Suche nach dem Künstlertum
Die Frage „Was ist eine Künstlerin bzw. ein Künstler?“ ist heute wie damals nicht eindeutig beantwortbar, da es unterschiedliche Bewertungskriterien gibt. Kulturelle und ökonomische Faktoren wie Ausbildung, Ausstellungen, Verkäufe, Stipendien, Kritiken, Kataloge sind Hinweise auf ein zeitgenössisches Künstlerleben. Sie gelten als gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die jedoch nicht in gleichem Maße erfüllt sein müssen. Den größeren Einfluss auf die Beantwortung der Frage nach dem Wesen von Künstlern und Künstlerinnen haben Vorstellungen, die vor allem aus Künstlermythen genährt sind. So sind die Anekdoten über das Leben und Schaffen einiger Künstler der Renaissance, die Giorgio Vasari in den „Lebensläufe[n] der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten“ (1550) verfasst hat, einerseits Grundstock der Kunstgeschichtsschreibung und gelten andererseits heute noch als Pfeiler romantisierender Bilder von Künstler und Künstlerinnen. Ernst Kris und Otto Kurz zeigen in „Die Legende vom Künstler“ bereits 1934 auf, „daß in aller Biographik gewisse Grundvorstellungen vom bildenden Künstler nachzuweisen sind, die, ihrem Wesen nach aus einheitlicher Wurzel verständlich, sich bis in die Anfänge der Geschichtsschreibung zurückverfolgen lassen.“ Warum haben mythologische Vorstellungen vom Künstlertum auch heute noch nicht ausgedient, obwohl sie mit den Realitäten des Lebens von Künstler und Künstlerin meist nicht viel gemeinsam haben? Ein Grund darin liegt sicherlich in der massenmedialen Verbreitung der Mythen. Populäre Biografien, Artikel in Zeitschriften sowie Spiel- und Dokumentarfilme über Künstler und Künstlerinnen zählen zu den wichtigsten Einflussfaktoren, die das Bild von einem Künstler bzw. einer Künstlerin heute prägen.
Dem Bild von Künstlern und Künstlerinnen in der massenmedialen Gesellschaft widmete sich ein Symposium im Deutschen Künstlerbund in Berlin, das die Künstlerin annette hollywood zusammen mit dem Kurator Bernd Milla konzipiert und realisiert hatte. Unter dem Titel „Deconstruct me - I’m an artist“ wurden unterschiedliche Konstruktionen und Wahrnehmungen des Bildes von Künstler und Künstlerin in der Gesellschaft untersucht. Zwischen den einzelnen Vorträgen fand eine meist in Symposien fehlende aber äußert fruchtbare Verbindung von Theorie und künstlerischer Praxis statt. Als „Dekonstruktionen und Reflektionen zum eigenen Rollenmodell“, verstand annette hollywood die Auswahl der Videos, die sich aus der Sicht von Künstler und Künstlerinnen mit dem genannten Themenfeld beschäftigten. So beobachtet das Publikum die Künstlerin Stefka Ammon in ihrem Video „I want to know what art is“ (2002, 6:30 min) beim Betrachten von Künstlervideos. Eva Könnemann konstruiert in „happy problem“ (2002, 12 min) Künstleridentitäten und untersucht kollektive Autorschaft. annette hollywood beschäftigt sich in „artists in love“ (2002, 6 min) mit sexualisierten Darstellungen von Künstlerinnen im Film und verbindet diese zu einer großen Lovestory. Und Paul McCarthy’s „Painter“ (1995, 60 min) behandelte Vorstellungen von einem Maler in einer performativen Herangehensweise.
Der Soziologe Prof. Dr. Hans Peter Thurn erörterte in seinem Vortrag das Künstlertum unter dem Themenschwerpunkt „Kunst zwischen Beruf und Berufung“. Er berichtete über die soziale Herkunft von Künstler und Künstlerinnen der Moderne, über ihre Zugehörigkeit zu bürgerlichen und mittelständischen Milieus. Im Sinne von Max Webers Vorträgen „Wissenschaft als Beruf“ (1917) und „Politik als Beruf“ (1919) zeichne die „Eingebung“, der „wertvolle Einfall“ sowie die „innere Hingabe“ den Wissenschaftler und den Künstler gleichermaßen aus. Thurn verortete das Künstlertum der Moderne zwischen „Charisma“ und „Stigmatisierung“. Das Charisma des Künstlers konstituiere sich im Wesentlichen durch die Künstlermythen: Das Talent und die Gabe zur außergewöhnlichen Schöpfung sowie das Leiden an gesellschaftlichen Bedingungen verkläre den Künstler als Genie und bringe ihn mit der göttlichen Schöpfung in Verbindung (Deus Artifex vs. Divino Artista). Die „Stigmatisierung“ als Bohemien oder Außenseiter zeige hingegen den Grad der Entfremdung von der Gesellschaft an. Über den Begriff des „Genie[s] als Bedürfnis der bürgerlichen Gesellschaft“ sprach die Künstlerin, Theoretikerin und Kuratorin Alice Creischer. Sie leitete den Geniebegriff aus der Literaturwissenschaft und Philosophie her und setzte diesen mit ökonomischen Bedingungen in Verbindung. Die Verankerung und massenmediale Verbreitung von Künstlermythen durch Biografiefilme und Fernsehserien war Thema dreier Vorträge: Mein Beitrag „Liasons dangereuses – Kunst und Massenmedien am Beispiel des amerikanischen Mythos Pollock“ beschäftigte sich mit der Mythenbildung im Biografiefilm „Pollock“ (R: Ed Harris, 2000) und dem als ambivalent inszenierten Verhältnis zwischen Künstlertum und massenmedialem Erfolg. Obwohl Jackson Pollock zu seinen Lebzeiten durch den Erfolg in den Massenmedien zum Nationalheld avancierte, werden in der filmischen Erzählung der Biografie genau die reproduzierenden Medien dafür verantwortlich gemacht, den Künstler ebenso zu Fall zu bringen. Die Kunsthistorikerin Verena Kuni ließ ein Double in ihrem Vortrag „I was shot by Giorgio Vasari“ über die Frage von Gender als Genre im Künstlerinnen-biografiefilm sprechen. Sie charakterisierte die wenigen Künstlerinnen über die es Biografiefilme gibt – Artemisia Gentileschi, Camille Claudel und Frida Kahlo – als „Alibi-Frauen“ in der Geschichtsschreibung, da Genialität traditionell dem männlichen Geschlecht zugeschrieben wird. Die patriarchale Ordnung werde durch die geringe Anzahl an existierenden Filmen über Künstlerinnen sowie durch ihre Auswahl – in deren Umfeld jeweils ein mächtiger, männlicher Künstler zu finden ist – bestätigt. Dazu stellte Kuni einen Vergleich mit zeitgenössischen künstlerischen Arbeiten her, die sich mit diesem Themenfeld auseinandersetzten. Schließlich sprach der Kurator, Kritiker und Musiker Justin Hoffmann in „tatort Kunst – Die Repräsentation von Künstlern im Fernsehen“ anhand von Videoausschnitten über adaptierte Rollenmodelle von stereotypisierten Künstler- und Künstlerinnenbilder in Fernsehserien wie „Sex in the City“ und „Tatort“.
Die Vorträge beschäftigten sich alle mit historischen (Vor)Bildern von Künstlern und Künstlerinnen. Blickt man jedoch in die letzten 20 Jahre zeitgenössischer Kunstproduktion, relativieren sich einige Aussagen, wie jene der Zugehörigkeiten der Künstler und Künstlerinnen zu bürgerlichen und mittelständischen Milieus, die Hans Peter Thurn beschrieben hat. So wird z.B. die Herkunft der young British artists (yBa’s) aus dem Arbeitermilieu immer wieder betont und nimmt für den yBa-Mythos eine wichtige Funktion ein. Künstler und Künstlerinnen haben heute durch vielfache gesellschaftliche Veränderungen mitunter andere Produktions- und Rezeptionsbedingungen als in der Moderne. Auch die Veränderungen am Arbeitsmarkt – von der Produktions- zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft – spiegeln neue Bewertungen des Berufs Künstler bzw. Künstlerin wider. So kann das Arbeitsmodell von Künstler und Künstlerinnen, das sich durch Flexibilität, Kreativität, Mobilität, 24/7 (24 Stunden/7 Tage pro Woche Beschäftigung) und einer 100 %ige Identifikation mit dem Produkt auszeichnet, mit den Leitbildern der New Economy verglichen werden. „Das bedeutet soviel wie die Persönlichkeit und Subjektivität zur Disposition zu stellen und zum Gegenstand des Kommandos zu machen. … ‚Seid Subjekte’, lautet die Direktive und wird zum Slogan der westlichen Gesellschaften“, bemerkt Maurizio Lazzarato in seinem Aufsatz über „Immaterielle Arbeit“ in dem Buch „Umherschweifende Produzenten“. So ist das Arbeitsprofil ähnlich, allein das regelmäßige Einkommen macht den Unterschied. Wird nun das Modell der Außenseiter der Gesellschaft, das den Künstlern und Künstlerinnen zugesprochen wurde, zur Regel? Wer ist dann DIE Gesellschaft? Können wir nun alle ein Künstler oder eine Künstlerin sein, wie Beuys es propagierte?
Vielleicht werden genau aus diesen Gründen die Mythen von Künstlern und Künstlerinnen hochgehalten. Sie verrätseln das Künstlertum und verleihen ihm ein Stück ‚Andersartigkeit’. Denn erst die ‚Andersartigkeit’ lässt Projektionen zu. Und ohne die wären unsere Vorstellungen über das Künstlertum halb so aufregend.
Doris Berger
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engl
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